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 Betreff des Beitrags: Depressionen
BeitragVerfasst: Dienstag 17. November 2009, 21:35 
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Depressionen
„Einer hat´s am Knie, der andere an den Nerven“


Nach dem tragischen Tod von Robert Enke plädiert Psychiatrieprofessor Florian Holsboer für einen offeneren Umgang mit Depressionen.


Psychiater und Chemiker Florian Holsboer ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Er hat Sebastian Deisler erfolgreich behandelt.

FOCUS: Der Tod von Robert Enke bewegt viele Menschen. Die zentrale Frage heißt: Warum? Was ist Ihre Antwort aus medizinischer Sicht?

Florian Holsboer: Ich glaube, das Hauptproblem in der Krankengeschichte von Robert Enke war, in einem Zwiespalt gefangen zu sein: Auf der einen Seite hat er schwere Symptome in sich hineingekehrt. Auf der anderen Seite wollte er der noch immer gut funktionierende Familienvater und gut funktionierende Torhüter sein. Dieser Zwiespalt hinderte ihn daran, Behandlungsangebote anzunehmen, und er hoffte, das Ganze in der Familie lösen zu können. Das ist ihm zum Verhängnis geworden.

FOCUS: Dieser Zwiespalt ist typisch für die Phase zwischen dem Erkennen einer Depression und einem ernsthaften Behandlungsbeginn. Wurde diese Phase also über Jahre hinausgezögert?

Holsboer: Ich fürchte, aus Gründen, die auch von der Sorge getragen waren, beruflich oder privat stigmatisiert zu werden, hat er es nicht geschafft, zu akzeptieren, dass hier eine konsequente Therapie nötig ist, um ihn aus diesem Tief wieder herauszuholen.

FOCUS:
Verstärkt das Vertuschen eine solche Erkrankung?

Holsboer: Es ist ein sich gegenseitig aufschaukelnder Zyklus. Auf der einen Seite werden die Sorgen vor dem Stigma in der Krankheit noch verstärkt. Dies zwingt dann aber auch wieder, eine Fassade aufzurichten, hinter der man die Krankheit verstecken will, um nach außen hin der funktionierende Fußballer und Familienvater zu sein.

FOCUS: Diese Fassade über einen so langen Zeitraum ist ja eine Konzentrationsleistung erster Rangordnung ...

Holsboer: Der Sport hat ihm, wenn er unter maximaler Anspannung auf dem Spielfeld stand, wahrscheinlich auch ein Stück geholfen, für die Zeit des Spiels seine Depression zu vergessen oder zumindest an den Rand zu drängen. Ich vermute, dass ihn die 90 Minuten so stark abgelenkt haben, dass ihn in dieser Zeit die Depression nicht so belastet hat. Wenn das Spiel dann vorbei ist, holt ihn die Depression umso mehr wieder ein. So meine Einschätzung, warum es überhaupt funktioniert hat.

FOCUS: Enkes Frau hat offenbar fürchterlich mitgelitten. Hätte man ihn zwangseinweisen können?

Holsboer: Rein theoretisch ist dies schon möglich. Dafür bräuchte man einen richterlichen Beschluss. In sehr schweren Fällen, wenn jemand quasi von der Brücke geholt wird, von der er springen will, und die Tragweite seines Handelns nicht mehr überblicken kann, würde ein Richter sicherlich einen Beschluss ergehen lassen, dass dieser Mensch gegen seinen Willen behandelt werden soll. Das sind allerdings extreme Ausnahmen. Im Fall Enke kann man über so etwas nicht einmal nachdenken. Wer hätte ihn nach einem Fußballspiel denn gegen seinen Willen auf eine Krankenstation bringen sollen?

FOCUS: Durch Ihren prominenten Patienten Sebastian Deisler kennen Sie ein wenig die Fußballszene. Glauben Sie ein „Outing“ wäre für Robert Enke zum Problem geworden?

Holsboer: Das kann ich im Fall von Hannover 96 nicht beurteilen. Aber ich kann im Fall vom FC Bayern sagen, dass sowohl der Manager Uli Hoeneß als auch der Trainer Otmar Hitzfeld sich in geradezu bewunderungswürdiger Weise auf diese Situation eingestellt haben. Ich werde nie vergessen, wie Uli Hoeneß, als ich mit ihm und dem Trainer hier saß und ich ihm die Problematik erläuterte, zu mir sagte: `Mich interessiert nur eines: dass der junge Mann wieder gesund wird.´ Man kennt das ja von Hoeneß, der immer eine starke menschliche Seite hat – auch wenn er sich oft recht drastisch äußert. Diese Einstellung wünschte ich mir in allen Vereinen. Die Forderung, jetzt verstärkt Sportpsychologen einzusetzen, die ja eigentlich versuchen sollen, die Leistungsfähigkeit der Sportler und die Konzentration aufs Spiel zu verstärken, halte ich generell für sinnvoll. Ob jeder Sportpsychologe geeignet ist, auch klinische Symptome einer sich anbahnenden Depression frühzeitig zu erkennen und auf den Sportler dann auch noch hinzuwirken, dass er professionellen Rat sucht, bezweifle ich.

FOCUS: Deisler hat also alles richtig gemacht, als er sich der Klinik anvertraut hat?

Holsboer: Er hat, was seine Gesundheit betrifft, ganz bestimmt das Richtige getan – auch in der Offenheit, in der er das getan hat. Er ist kein Mensch, der gern Heimlichkeiten hat, und er wollte, dass damit offen umgegangen wird. Im Fall von Enke gab es ja vor etlichen Jahren mal diese unklare Darmerkrankung, die in Wirklichkeit wahrscheinlich nur eine Verschleierung der Tatsache war, dass er da wegen einer Depression ausgefallen war.

FOCUS: Und vor Kurzem gab es diese Viruserkrankung ...

Holsboer: Wenn man eine Depression verheimlichen will, gibt es immer Möglichkeiten. Deisler wollte so etwas nicht – er ist von seiner Depression schließlich geheilt worden, hat wieder hervorragend gespielt und ist Deutscher Meister geworden. Er hat dann vor der Weltmeisterschaft erneut eine schwere Verletzung erlitten, konnte die WM nicht mehr spielen und hat sich daraufhin entschieden, sich den Belastungen des Profifußballs nicht mehr zu stellen und aufzuhören.

FOCUS: Der Deutsche Fußballbund gelobt nun, das Thema Depression enttabuisieren zu wollen. Kann das gelingen?

Holsboer: Es geht darum, nicht nur die Fußballerszene, sondern die gesamte Öffentlichkeit inklusive der Medien davon zu überzeugen, dass man offen mit dieser Erkrankung umgehen muss. Dass man dahin kommt zu sagen: Der eine hat es am Knie, der andere im Magen und der Dritte eben im Nervensystem. Dort spielen sich Stoffwechselveränderungen ab, die zur Depression führen. Wenn es in der Bauchspeicheldrüse ist, bekommt man Diabetes und wenn es in den Gelenken ist, gibt es Rheuma. Mir geht es um das Stück Normalität, die wir bei psychischen Erkrankungen akzeptieren müssen.

FOCUS: Dieser Zwiespalt ist typisch für die Phase zwischen dem Erkennen einer Depression und einem ernsthaften Behandlungsbeginn. Wurde diese Phase also über Jahre hinausgezögert?

Holsboer: Ich fürchte, aus Gründen, die auch von der Sorge getragen waren, beruflich oder privat stigmatisiert zu werden, hat er es nicht geschafft, zu akzeptieren, dass hier eine konsequente Therapie nötig ist, um ihn aus diesem Tief wieder herauszuholen.

FOCUS: Verstärkt das Vertuschen eine solche Erkrankung?

Holsboer: Es ist ein sich gegenseitig aufschaukelnder Zyklus. Auf der einen Seite werden die Sorgen vor dem Stigma in der Krankheit noch verstärkt. Dies zwingt dann aber auch wieder, eine Fassade aufzurichten, hinter der man die Krankheit verstecken will, um nach außen hin der funktionierende Fußballer und Familienvater zu sein.

FOCUS: Diese Fassade über einen so langen Zeitraum ist ja eine Konzentrationsleistung erster Rangordnung ...

Holsboer: Der Sport hat ihm, wenn er unter maximaler Anspannung auf dem Spielfeld stand, wahrscheinlich auch ein Stück geholfen, für die Zeit des Spiels seine Depression zu vergessen oder zumindest an den Rand zu drängen. Ich vermute, dass ihn die 90 Minuten so stark abgelenkt haben, dass ihn in dieser Zeit die Depression nicht so belastet hat. Wenn das Spiel dann vorbei ist, holt ihn die Depression umso mehr wieder ein. So meine Einschätzung, warum es überhaupt funktioniert hat.

FOCUS: Enkes Frau hat offenbar fürchterlich mitgelitten. Hätte man ihn zwangseinweisen können?

Holsboer: Rein theoretisch ist dies schon möglich. Dafür bräuchte man einen richterlichen Beschluss. In sehr schweren Fällen, wenn jemand quasi von der Brücke geholt wird, von der er springen will, und die Tragweite seines Handelns nicht mehr überblicken kann, würde ein Richter sicherlich einen Beschluss ergehen lassen, dass dieser Mensch gegen seinen Willen behandelt werden soll. Das sind allerdings extreme Ausnahmen. Im Fall Enke kann man über so etwas nicht einmal nachdenken. Wer hätte ihn nach einem Fußballspiel denn gegen seinen Willen auf eine Krankenstation bringen sollen?

FOCUS: Durch Ihren prominenten Patienten Sebastian Deisler kennen Sie ein wenig die Fußballszene. Glauben Sie ein „Outing“ wäre für Robert Enke zum Problem geworden?

Holsboer: Das kann ich im Fall von Hannover 96 nicht beurteilen. Aber ich kann im Fall vom FC Bayern sagen, dass sowohl der Manager Uli Hoeneß als auch der Trainer Otmar Hitzfeld sich in geradezu bewunderungswürdiger Weise auf diese Situation eingestellt haben. Ich werde nie vergessen, wie Uli Hoeneß, als ich mit ihm und dem Trainer hier saß und ich ihm die Problematik erläuterte, zu mir sagte: `Mich interessiert nur eines: dass der junge Mann wieder gesund wird.´ Man kennt das ja von Hoeneß, der immer eine starke menschliche Seite hat – auch wenn er sich oft recht drastisch äußert. Diese Einstellung wünschte ich mir in allen Vereinen. Die Forderung, jetzt verstärkt Sportpsychologen einzusetzen, die ja eigentlich versuchen sollen, die Leistungsfähigkeit der Sportler und die Konzentration aufs Spiel zu verstärken, halte ich generell für sinnvoll. Ob jeder Sportpsychologe geeignet ist, auch klinische Symptome einer sich anbahnenden Depression frühzeitig zu erkennen und auf den Sportler dann auch noch hinzuwirken, dass er professionellen Rat sucht, bezweifle ich.

FOCUS: Deisler hat also alles richtig gemacht, als er sich der Klinik anvertraut hat?

Holsboer: Er hat, was seine Gesundheit betrifft, ganz bestimmt das Richtige getan – auch in der Offenheit, in der er das getan hat. Er ist kein Mensch, der gern Heimlichkeiten hat, und er wollte, dass damit offen umgegangen wird. Im Fall von Enke gab es ja vor etlichen Jahren mal diese unklare Darmerkrankung, die in Wirklichkeit wahrscheinlich nur eine Verschleierung der Tatsache war, dass er da wegen einer Depression ausgefallen war.

FOCUS: Und vor Kurzem gab es diese Viruserkrankung ...

Holsboer: Wenn man eine Depression verheimlichen will, gibt es immer Möglichkeiten. Deisler wollte so etwas nicht – er ist von seiner Depression schließlich geheilt worden, hat wieder hervorragend gespielt und ist Deutscher Meister geworden. Er hat dann vor der Weltmeisterschaft erneut eine schwere Verletzung erlitten, konnte die WM nicht mehr spielen und hat sich daraufhin entschieden, sich den Belastungen des Profifußballs nicht mehr zu stellen und aufzuhören.

FOCUS: Der Deutsche Fußballbund gelobt nun, das Thema Depression enttabuisieren zu wollen. Kann das gelingen?

Holsboer: Es geht darum, nicht nur die Fußballerszene, sondern die gesamte Öffentlichkeit inklusive der Medien davon zu überzeugen, dass man offen mit dieser Erkrankung umgehen muss. Dass man dahin kommt zu sagen: Der eine hat es am Knie, der andere im Magen und der Dritte eben im Nervensystem. Dort spielen sich Stoffwechselveränderungen ab, die zur Depression führen. Wenn es in der Bauchspeicheldrüse ist, bekommt man Diabetes und wenn es in den Gelenken ist, gibt es Rheuma. Mir geht es um das Stück Normalität, die wir bei psychischen Erkrankungen akzeptieren müssen.

FOCUS
: Gibt es einen Appell, der Ihnen am Herzen läge?

Holsboer: Ja. Man kann eine Depression nicht im Familienkreis behandeln. Man muss professionelle Hilfe annehmen. Und: Wir müssen offener mit der Erkrankung umgehen.


Quelle: focus.de

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Lache niemanden aus, der gerade drei Schritte rückwärts geht..... Er könnte grade Anlauf nehmen!


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