Die Borderline-Störungen
gehören zu der diagnostischen Gruppe der Persönlichkeitsstörungen. Kennzeichnend für Borderline-Störungen ist eine fortgesetzte Instabilität in sozialen Beziehungen, im Selbstbild und der Stimmung. Dies zeigt sich z.B. in einer Abfolge intensiver, aber häufig wechselnder Beziehungen, der Neigung zu selbstgefährdendem Verhalten oder starken Gefühlsausbrüchen. In der Lebensgeschichte der Betroffenen finden sich häufig massive Missbrauchserfahrungen. In der Therapie von Borderline-Störungen steht zunächst die Stabilisierung im Alltag im Vordergrund, bevor die traumatischen Erfahrungen bearbeitet werden können.
Definition
Borderline-Störungen, auch als Borderline-Syndrom bezeichnet, gehören zu der diagnostischen Gruppe der Persönlichkeitsstörungen. Diese Diagnose wird dann gestellt, wenn sich bei einer Person anhaltende und weitgehend gleichbleibende Verhaltensmuster zeigen, die durch starre unangemessene Reaktionen in unterschiedlichen persönlichen und sozialen Lebenslagen gekennzeichnet sind. Problematisch bei dieser Diagnose ist, dass nicht einzelne Verhaltensweisen als "Störung" bezeichnet werden wie bei anderen psychischen Erkrankungen (z.B. Angststörungen), sondern eine Beurteilung der Person an sich erfolgt. Auch sind die Grenzen von persönlichen "Macken" (bzw. hervorstechenden Persönlichkeitseigenschaften) zu einer gestörten Persönlichkeit oft schwer zu ziehen. Deshalb sollte diese Diagnose nur gestellt werden, wenn die sozialen Beziehungen des Betroffenen so stark beeinträchtigt werden, dass die berufliche und private Leistungsfähigkeit deutlich herabgesetzt ist. Meist entsteht für diese Personen erhebliches persönliches Leid.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörungen zeichnen sich durch ein fortlaufendes Muster von Instabilität in sozialen Beziehungen, im Selbstbild und der Stimmung aus. Der Borderline-Begriff entstand aus der Annahme, dass sich diese Störungen im Grenzbereich zwischen Neurose und Psychose bewegen, da die Betroffenen neben einer gestörten Charakterstruktur auch vereinzelt psychotische Symptome, wie z.B. Verfolgungsideen zeigen. In der letzten Zeit ist in Presse und Fernsehen vermehrt über Borderline-Störungen berichtet worden - vermutlich angeregt durch die gesteigerte Aufmerksamkeit, die der Themenbereich des körperlichen und sexuellen Missbrauchs vor allem bei Kindern erhalten hat, da diese extrem belastenden Lebenserfahrungen bei der Entstehung von Borderline-Störungen häufig eine Rolle spielen.
Häufigkeit
Die Häufigkeit der Borderline-Störung in der Gesamtbevölkerung beträgt etwa 2%. Der überwiegende Teil der Betroffenen (ca. 70%) sind Frauen. Die Sterberate infolge von Selbsttötung liegt in der Gruppe der Borderline-Patienten bei 5-10%.
Symptome
Im Zentrum der Borderline-Persönlichkeitsstörung stehen Schwierigkeiten bei der Regulation von Gefühlen, diese können sich auf verschiedenen Ebenen zeigen:
Die Betroffenen sind oft verzweifelt bemüht, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. Dabei werden z.B. schon zeitlich begrenzte Trennungen oder auch minimale Verspätungen des anderen als sehr bedrohlich empfunden und lösen starke Ängste aus. Häufig schätzen sich die Betroffenen selbst als "böse" ein, weil sie "doch schließlich" verlassen worden sind.
Bei den betroffenen Personen findet sich oft eine Abfolge intensiver, aber häufig wechselnder Beziehungen. Dabei zeigt sich am Anfang einer Beziehung meist eine starke Idealisierung des Anderen, die dann sehr schnell durch eine Abwertung derselben Person abgelöst werden kann, wenn diese der Erwartung "immer für den anderen da zu sein" nicht genügt.
Die Wahrnehmung und Einschätzung der eigenen Person ist bei den Betroffenen sehr wechselhaft. Diese Identitätsstörung zeigt sich z.B. in einem häufigen Wechsel von Berufswünschen oder Wertvorstellungen. Im Selbstbild sehen sie sich oft als "böse" oder "sündig" oder haben zeitweise, insbesondere bei angenommenem "Verlassensein" das Gefühl, gar nicht zu existieren.
Ein weiteres Kennzeichen der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist die Neigung zu selbstgefährdendem Verhalten. Dies zeigt sich zum einen in einer starken Impulsivität in Bereichen, die potentiell selbstschädigend sind, so z.B. riskantes Autofahren, Glücksspiel, Fressanfälle oder Drogenmissbrauch, aber auch indirekter in Selbstverletzungen, z.B. indem man sich selbst Schnitte oder Brandwunden zufügt oder in Selbstmordandrohungen und -versuchen. Diese selbstschädigenden Handlungen stehen oft im Zusammenhang mit dem Versuch, ein "Verlassenwerden" zu vermeiden, können aber auch als eine Art von "Strafe" für die eigene "Sündigkeit" dienen oder den Betroffenen helfen, sich selbst wieder zu spüren.
Die Gefühlslage der Betroffenen ist sehr wechselhaft, so kommt es bei eher gedrückter Grundstimmung zu Perioden von starker Erregbarkeit, Angst oder Verzweiflung. Diese sind häufig Ausdruck der Neigung, sehr schnell und extrem auf zwischenmenschliche Belastungen zu reagieren. Insbesondere wenn der Betroffene Vernachlässigung oder Zurückweisung erlebt, kommt es oftmals zu Wutausbrüchen, die für die Betroffenen kaum zu kontrollieren sind.
Menschen mit einer Borderline-Störung klagen weiterhin vielfach über ein anhaltendes Gefühl innerer Leere; sie leiden unter einem quälenden Gefühl der Langeweile und sind häufig auf der Suche nach einer Beschäftigung.
Unter extremen Belastungen, wie z.B. unter Drogeneinfluss oder bei einem tatsächlichen oder erwarteten Verlassenwerden, können vorübergehend Verfolgungsideen oder so genannte dissoziative Symptome, wie beispielsweise veränderte Wahrnehmung der eigenen Person oder des eigenen Körpers oder eine Schmerzunempfindlichkeit auftreten.
Grundlagen und Ursachen
Nach Ansicht früher psychoanalytischer Erklärungsmodelle handelt es sich bei der Borderline-Störung um eine Frühstörung. Das bedeutet, dass bei den Betroffenen Strukturen und Denkmuster bestehen geblieben sind, die typisch sind für die frühe Kindheit. In dieser Zeit stehen Hass- und Neidkonflikte im Vordergrund, es besteht noch keine differenzierte Wahrnehmung der eigenen oder fremder Personen, sondern eine starre Bewertung von Menschen als "ganz gut" oder "ganz böse".
In den letzten Jahren wurde zunehmend der Einfluss von Missbrauchserfahrungen bei der Entstehung von Borderline-Störungen untersucht. So zeigt sich, dass 81% aller Borderline-Patienten über schwere traumatische Erlebnisse, wie sexuellen oder körperlichen Missbrauch oder dem Miterleben von extremer häuslicher Gewalt, berichten.
Dabei ist in vielen Fällen der misshandelnde Täter eine wichtige Bezugsperson, so dass die Betroffenen mit dem Widerspruch konfrontiert werden, dass eine geliebte Person, die schützen sollte, identisch ist mit der Person, vor der man selbst Schutz bedarf. In diesem Widerspruch ist es für das Opfer nur schwer möglich, seine angemessenen Reaktionen von Wut und Ekel gegenüber der Bezugsperson wahrzunehmen und zu äußern. Möglicherweise kehren sich diese negativen Gefühle dann gegen die eigene Person, so dass der Missbrauch durch die eigene "Schlechtigkeit" gerechtfertigt werden kann. Missbrauchserfahrungen können auch die spätere Beziehungsgestaltung entscheidend prägen: Das gleichzeitige Erleben unvereinbarer Emotionen, wie z.B. die Zärtlichkeit des Täters verbunden mit der gleichzeitigen Angst vor ihm, dazu das Gefühl, bevorzugt zu werden, aber auch mit Scham verbunden, lässt die Betroffenen auch später im Umgang mit anderen zwischen extremen Polen hin und her schwanken.
Erinnerung wird zur Belastung
In der Therapie von Personen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, wurde festgestellt, dass bei den meisten Betroffenen bei wiederholtem Sprechen über das Trauma ihre emotionalen Reaktionen schwächer werden. Bei Borderline-Patienten zeigt sich hingegen, dass ein wiederholtes Erinnern des Missbrauchs bei ihnen zu einer Zunahme der belastenden Gefühle führt, es scheint bei ihnen eine erhöhte neurobiologische Erregbarkeit vorzuliegen. Zudem scheint die wiederholte und oft willkürliche Traumatisierung bei den Betroffenen dazu zu führen, dass sie ein ausgeprägtes Gespür für mögliche Bedrohungen entwickeln. Als Konsequenz können auf scheinbar harmlose Reize extreme Reaktionen folgen. Dissoziative Symptome, die bei Betroffenen in Momenten subjektiv wahrgenommener Bedrohung auftreten, können analog des bei Tieren zu beobachtenden Totstellreflexes verstanden werden, wenn der Person keine Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, auf die Bedrohung zu reagieren. Damit ist ihnen aber die Chance genommen zu lernen, dass sie eine wahrgenommene Gefahr bewältigen können, indem sie selbst handeln um die Gefahr zu relativieren. Die dissoziativen Symptome, wie Veränderungen der Raum- und Zeitwahrnehmung, das Gefühl, neben sich zu stehen und nichts mehr spüren zu können, werden von Borderline-Patienten als sehr beängstigend erlebt und häufig durch selbstverletzendes Verhalten, so z.B. durch Schneiden, um sich wieder zu spüren, beendet.
Aber nicht bei allen Personen, die unter Borderline-Störungen leiden, liegen Missbrauchserfahrungen vor. Allen Betroffen scheint aber gemeinsam zu sein, dass sie in einem invalidierenden Umfeld aufgewachsen sind. Das heißt, sie haben nicht gelernt, adäquat mit schwierigen Situationen oder negativen Gefühlen umzugehen. Ein typisches erlerntes Verhaltensmuster könnte z.B. sein, als "gutes" Kind nie wütend sein zu dürfen.
Verlauf
Häufig sind Borderline-typische Verhaltensweisen bei den Betroffenen schon in der Kindheit und Jugend zu beobachten. Die Diagnose sollte aber erst ab dem frühen Erwachsenenalter gestellt werden, da bis dahin die Persönlichkeit eines Menschen noch starken Entwicklungen unterliegt.
Der Verlauf der Borderline-Störungen ist oft chronisch, neben anhaltender Instabilität in verschiedenen Bereichen kommt es häufig zu Phasen von emotionalem Kontrollverlust. Aufgrund störungsbedingter Probleme, wie bei Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen und selbstschädigendem Verhalten, ist die Behandlung für beide Seiten oft schwierig und es kommt häufig zu mehrfachem Therapeutenwechsel. Mit fortschreitendem Alter nimmt die Intensität der Störung meist ab, so dass viele Betroffene ab dem 30.-40. Lebensjahr eine größere Stabilität sowohl in ihren Beziehungen als auch im Beruf erreichen.
Therapie
Die Therapie der Borderline-Störung gestaltet sich oft für beide Seiten - Betroffene wie Therapeuten - schwierig, insbesondere weil die Patienten auch in der Therapie, wie in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, häufig zwischen Idealisierung und Herabsetzung des Therapeuten schwanken. Unter anderem aus diesem Grund kommt es bei vielen Betroffenen zu einem häufigen Therapeutenwechsel.
In psychoanalytischen Therapien werden die Schwierigkeiten, die die Betroffenen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zeigen, als Ausdruck innerpsychischer Konflikte verstanden. Die Deutung dieser Probleme steht deshalb im Mittelpunkt der Behandlung.
In den letzten Jahren ist ein stark strukturiertes Programm speziell für die Therapie bei Borderline-Patienten entwickelt worden. Diese Dialektisch-behaviorale Therapie gliedert sich in folgende Abschnitte:
In einer Vorbereitungsphase werden dem Betroffenen Informationen über die Borderline-Störung und das Therapieprogramm vermittelt. Auch werden mit dem Patienten eventuelle frühere Therapieabbrüche oder -wechsel bearbeitet, damit er in der Lage ist, mögliche Frühwarnzeichen zu erkennen, die darauf hindeuten können, dass er die Therapie frühzeitig beenden könnte, und auf diese dann zu reagieren.
In der ersten Therapiephase stehen problematische Verhaltensweisen des Betroffenen im Mittelpunkt, so vor allem:
Selbstschädigendes Verhalten und Selbstmordversuche: Es wird mit dem Patienten erarbeitet, welche Bedingungen und Situationen zu diesem Verhalten führen und es werden andere Handlungsmöglichkeiten entwickelt.
Therapiegefährdendes Verhalten: Faktoren, welche die Aufrechterhaltung und den Erfolg der Behandlung gefährden, werden analysiert; dabei werden die Ursachen sowohl auf Seiten des Patienten, z.B. wiederholtes Versäumen der Termine als auch auf Therapeutenseite, die beispielsweise in einer Überforderung des Patienten liegen können, in Betracht gezogen.
Verhalten, das die Lebensqualität beeinträchtigt: Verhaltensweisen wie Drogenmissbrauch oder finanzielle Probleme stehen in dieser Phase im Mittelpunkt der Behandlung. Auch erfolgt eine erste Annäherung an die traumatischen Erlebnisse des Betroffenen, zunächst aber stark bezogen auf den derzeitigen Alltag. Dazu gehören eine Veränderung der Lebensbedingungen, in denen u.U. fortlaufend traumatische Erfahrungen gemacht werden, eine verbesserte Steuerung der mit dem Trauma verbundenen Gefühle, sowie die Behandlung der oben erwähnten dissoziativen Symptome.
Verbesserung von Verhaltensfähigkeiten: Mit dem Patienten wird anhand von Übungen an verschiedenen Problembereichen gearbeitet. So wird, meist im Rahmen einer Gruppe mit anderen Betroffenen, z.B. die Wahrnehmung und Steuerung eigener Gefühle oder der Umgang mit Stress geübt.
Erst in der zweiten Therapiephase geht es um die Behandlung der Folgen traumatischer Erlebnisse. Diese belastenden Lebensereignisse werden bewusst erst dann in das Zentrum der Behandlung gestellt, wenn mit dem Patienten zuvor der Umgang mit intensiven Gefühlen, die in diesem Zusammenhang auftreten, erarbeitet wurde und sich seine Lebensumstände stabilisiert haben. Das kann darin bestehen, dass keine selbstschädigenden Handlungen mehr zur Spannungsreduktion eingesetzt werden und keine Suizidgefahr mehr besteht. Es geht in dieser Phase nicht darum, das erlebte Trauma wiederzuerleben, sondern zu lernen, dass es der Vergangenheit angehört und sich vor Situationen zu schützen, die Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen hervorrufen.
In der dritten Therapiephase soll das in der Therapie Erlernte in die tägliche Lebensgestaltung eingebunden werden. Wichtige Ziele dieses abschließenden Stadiums sind die Steigerung der Selbstachtung und das Entwickeln und Umsetzen individueller Ziele.
In bisherigen Untersuchungen zur Dialektisch-behavioralen Therapie konnte gezeigt werden, dass insbesondere in den Bereichen der Selbstverletzungen, stationären Aufenthalte, Depressivität und sozialer Einbindung deutliche Verbesserungen bei den Betroffenen erreicht werden konnten.
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