Verfasst am: 25.01.2006, 11:42 Titel:
Das Stimmenhören
Wer Stimmen hört, hört ganz real gesprochene Worte, die nur er selber wahrnehmen kann. Etwa 3-5 % der Bevölkerung haben irgendwann einmal in ihrem Leben Stimmen gehört – ein Großteil davon, ohne dabei krank zu sein. Das Stimmenhören tritt oft in Verbindung mit einem einschneidenden Erlebnis im Leben auf, z.B. können sie im Trauerfall trösten oder bei Hochseeseglern auftreten, die lange Zeit unter extremen Bedingungen alleine sind. Gerade wenn die Stimmen im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung auftreten, sind sie oft sehr quälend.
Stimmen, die außer einem selbst niemand hört. Stimmen, die so klar und deutlich sprechen, als stünde jemand hinter einem. Stimmen, die oftmals herrschsüchtig, gemein und vernichtend werden: Circa ein Prozent der Bevölkerung ist davon betroffen und hat schon einmal oder immer wiederkehrend Stimmen gehört.
Mögliche Diagnose Schizophrenie
In neueren Untersuchungen mittels Magnetresonanz haben Berner Wissenschaftler fehlgeschaltete Nervenbahnen des Sprachhörzentrums nachweisen können, die dafür verantwortlich sein sollen. Die psychiatrische Diagnose lautet zumeist: Schizophrenie. Um es gleich vorweg zu nehmen: Warum es zu diesen Fehlleistungen des Gehirns kommt, die dazu führt Stimmen zu hören, warum ein Mensch an Schizophrenie erkrankt, ist weitgehend ungeklärt.
Lebensumstände und biochemische Veränderungen
Belastende Lebenssituationen, genetische Disposition und biochemische Veränderungen im Gehirn werden als Ursachen diskutiert. Psychodynamisch geht man davon aus, dass das Kern-Selbst eines Menschen hier nicht kohärent geblieben ist, dass die fehlende emotionale Spiegelung des kindlichen Selbst in früher Entwicklung innerpsychische Ursache dafür ist, kein gesamtheitliches, stabiles Selbst entwickeln zu können.
Bewusstseinsspaltung
Der Begriff schizophrene Psychose bezeichnet einen Zustand der Bewusstseinspaltung. Der Patient nimmt die "wirkliche Realität" wahr und daneben eine zweite, seine ganz eigene Realität. Je tiefer er in die Krankheit hinein gerät, um so mehr zieht er sich in seine eigene Realität zurück. Die Umwelt, er selbst, also die gesamte Wahrnehmung des Patienten verschiebt sich.
Krankheitsbild und Verlauf
Das Krankheitsbild ist sehr vielschichtig. Typische Gemeinsamkeiten sind: optische oder akustische Halluzinationen und Wahnerlebnisse wie Verfolgungswahn, Denkstörungen, Störung von Antrieb und Psychodynamik.
Ein Drittel der Erkrankten erlebt nur eine einzige Krankheitsepisode und wird danach vollkommen geheilt. Ein weiteres Drittel hat immer wiederkehrende Episoden, zwischen denen Jahre vergehen können, in denen sie kaum Störungen oder Behinderungen erleben. Und circa ein Drittel der Patienten muss mit einem langfristigen schweren Krankheitsverlauf leben, was längere Klinikaufenthalte einschließt.
Hilfe durch Medikamente und weitere Therapiemaßnahmen
In der akuten Phase der Schizophrenie ist meistens ein Klinikaufenthalt notwendig. Mit Hilfe von Neuroleptika und Antipsychotika werden die Symptome aufgefangen. Ist der Patient wieder ansprechbar, werden weitere therapeutische Maßnahmen besprochen.
Einige Patienten berichten, dass akustische Halluzinationen, also das Hören von Stimmen, auch nach Einnahme der Medikamente bestehen bleiben. Hier zeigt sich, das eine veränderte Einstellung zu dem ungewöhnlichen Phänomen, eine so genannte Entpathologisierung, den Patienten hilft, einen konstruktiven Umgang damit zu finden.
Mit den Stimmen leben lernen
Menschen, die gelernt haben, die Stimmen als eine Wahrnehmung zu akzeptieren, die sie von anderen Menschen unterscheidet, aber nicht zwangsläufig "verrückt" machen muss, können weit besser damit leben. Sie lernen zwischen "positiven Stimmen", die es gut mit ihnen meinen, und "negativen Stimmen", die ihnen schaden zu unterscheiden.
Sie verbünden sich mit den "positiven Stimmen" und drängen die aggressiven, vernichtenden Botschaften zurück. Dieser Bewältigungsprozess erfordert von den Patienten viel Mut und Akzeptanz, von seiten der Familie und der sozialen Umgebung, und von Psychiatern die Bereitschaft, zur Erweiterung ihrer professionellen Perspektive .
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