WIRKSTOFF CLOZAPIN - GÄNGIGER HANDELSNAMEN LEPONEX ODER CLOZARIL
Clozapin ist ein Neuroleptikum, das 1971 im deutschen Sprachraum eingeführt wurde und das als das erste Neuroleptikum der Generation der atypischen Neuroleptika („Atypika“) gilt. Streng genommen aber stellt es das einzige Atypikum dar, da es im Gegensatz zu den später entwickelten Nachfolgesubstanzen auch in hoher Dosierung keine Neuroleptika-typischen Begleitwirkungen aufweist – v.a. löst es offenbar niemals extrapyramidal-motorische Störungen aus.
Clozapin (Markenname: Leponex® ,Clozaril® u.a.) gilt als mittelpotentes Neuroleptikum, wirkt jedoch häufig auch bei solchen Schizophrenien, die mit anderen Neuroleptika nicht oder nur unzureichend medikamentös beherrscht werden können. Darum wurden Clozapin-Präparate früher mitunter unkritisch eingesetzt (siehe Geschichte). Ein breit gestreuter Einsatz verbietet sich jedoch heute wegen einiger gefährlicher Schadeffekte, darunter die potenziell lebensbedrohliche Agranulozytose.
Wirkprofil
Clozapin interagiert mit verschiedenen Transmittersystemen. Es werden das dopaminerge, das adrenerge, das cholinerge, das serotonerge und das histaminerge System durch die Clozapin-Wirkung beeinflusst. Clozapin ist ein potenter Antagonist an α1-Adrenozeptoren, muskarinischen Acetylcholin M1-Rezeptoren, Serotonin-Rezeptoren (insbesondere 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren) sowie Histamin H1-Rezeptoren. Von besonderm Interesse ist auch die Wechselwirkung von Clozapin mit Dopamin-Rezeptoren. Clozapin blockiert vorrangig den D4-Dopaminrezeptor und mit deutlich geringerer Affinität auch D1-, D3- und D5-Rezeptoren. Die D2-Blockade, die bei den "klassischen" Neuroleptika vermutlich für den Großteil der antipsychotischen Wirkung verantwortlich ist, ist ebenso nur gering ausgeprägt.
Obwohl die Pharmakologie des Clozapins auf Rezeptorebene sehr gut untersucht wurde, lässt sich bislang seine spezifisch antipsychotische Wirkung bei gleichzeitigem Fehlen von Dyskinesien nicht vollständig erklären. So soll die antiserotonerge, über 5-HT2A-Rezeptoren vermittelte Wirkung mittels einer "kompensatorischen" Dopamin-Ausschüttung in bestimmten Hirnarealen (Substantia nigra) für das Ausbleiben der Störwirkung sorgen.
Pharmakokinetik
Clozapin wird zu über 90% resorbiert, hat eine Bioverfügbarkeit von ca. 50-60% und eine Halbwertzeit von 8 bis 14 Stunden, im Schnitt 12 Stunden. Der einzig wirksame Metabolit ist das Desmethyl-Clozapin. Die Elimination erfolgt vorwiegend renal.
Klinische Indikationen
Clozapin ist als Mittel der letzten Wahl bei therapieresistenten Psychosen indiziert, wenn vorher sämtliche Optionen versagt haben bzw. nicht vertragen wurden. Es kann darüber hinaus wegen der fehlenden extrapyramidal-motorischen Störwirkungen bei Parkinson-Patienten eingesetzt werden, wenn unter dopaminerger Medikation behandlungsbedürftige psychotische Symptome auftreten, ferner auch bei Chorea Huntington-Erkrankten.
Unerwünschte Wirkungen
Agranulozytose
Die gefährlichste "Nebenwirkung" ist die während der gesamten Einnahmezeit mögliche Ausbildung einer Agranulozytose. Eine Verminderung der weißen Blutkörperchen (vgl. Leukopenie, Neutropenie) ist unter Clozapin-Einnahme häufig; daher muss das Blutbild engmaschig überwacht werden, um ein ernsthaft gefährliches Absinken der Granulozytenzahl rechtzeitig zu erkennen. Wird das Medikament dann nicht sofort abgesetzt, besteht Lebensgefahr – bis etwa 1976 sind weltweit einige Hundert Clozapin-Patienten auf diese Weise ums Leben gekommen.
Die meisten Agranulozytosen (ca. 70%) treten in den ersten 18 Wochen der Einnahme auf, darum muss während dieser Zeit das Blutbild wöchentlich kontrolliert werden.
Weitere Risiken
Andere Clozapin-spezifische Risiken sind die Ausbildung eines Diabetes mellitus, eine Beeinträchtigung der körpereigenen Temperaturregulation (Erzeugung von Hyper- und Hypothermien) sowie die Kardiotoxizität der Substanz. Auch gibt es den Verdacht, das es einen Selenmangel verursachen kann.
Absetzpsychosen
Beim Absetzen von Clozapin kann es zu so genannten Absetzpsychosen kommen, die vom klinischen Bild her gravierender als die ursprünglich behandelte Psychose sein können. Diese Reaktionen treten besonders nach langdauernder, hochdosierter Einnahme auf und werden im Allgemeinen als "Hypersensibilisierungsreaktionen" interpretiert. Im Extremfall kann dadurch ein Absetzen des Präparats vollkommen scheitern.
Geschichte
Entdeckung
Das Clozapin wurde im Mai 1960 im Rahmen eines ca. 2000 Substanzen umfassenden Screenings von der WANDER AG in Bern (Schweiz) synthetisiert. Die antipsychotische Wirksamkeit wurde nicht erkannt; der potenzielle Arzneistoff blieb nur wegen seiner sedierenden Effekte im Tierversuch ein Kandidat für weitere Tests.
Erste Versuchsreihen mit menschlichen Probanden erbrachten um 1962 eher unbefriedigende Resultate. Deshalb folgten erst ab 1966 weitere Studien am Menschen – nun an Patienten mit chronisch-produktiver Schizophrenie –, wobei die antipsychotische Wirkung auffiel.
"Anti-paradigmatische Wirkung", Namensgebung
Bis zur Mitte der 1960er Jahre war die von dem Psychiater Hans-Joachim Haase formulierte Theorie der " neuroleptischen Schwelle" weithin anerkannt, wonach eine (auf der Dopamin-Blockade beruhende) antipsychotische Wirkung erst mit dem Auftreten der unerwünschten Parkinson-Symptome einsetzen sollte.
Das Clozapin widerlegte diese Theorie so eindrucksvoll, dass der Hersteller das 1971 im deutschen Sprachraum zugelassene Präparat LEPONEX nannte: Der Name leitet sich von lepus (lat. für Hase) ab und bedeutet demnach soviel wie "Ha(a)se tot".
Gehäufte Todesfälle, Konsequenzen
In den folgenden Jahren wurde das Clozapin/Leponex® in Europa zunehmend häufig verordnet, da es von vielen Patienten im Vergleich etwa zum Haloperidol wesentlich besser toleriert wurde. Mit der stark steigenden Verschreibungszahl häuften sich dann aber um 1975 auch Meldungen über tödlich verlaufende (!) Agranulozytose-Fälle – zuerst in Finnland, wo das Präparat in jenem Jahr erst neu zugelassen wurde.
Nachdem das Clozapin als Auslöser feststand, folgten sehr unterschiedliche Reaktionen der einzelnen Regierungen bzw. staatlichen Zulassungsbehörden – von der konsequenten Marktrücknahme (Finnland) bis zum Weiterbestehen der Zulassung mit einigen Warnhinweisen (Deutschland).
Hier wurden erst 1979 spezielle Regelungen für die Verordnung von Leponex® getroffen, die dann allerdings einzigartig auf dem gesamten Arzneimittelmarkt waren: Eine beabsichtigte Clozapin-Verordnung musste der betreffende Arzt dem Hersteller melden, erhielt ein Informationspaket, dessen Beachtung er schriftlich zusichern musste, und erst dann die Berechtigung zur Verordnung.
Dadurch wurde ein staatliches Verbot der Clozapin-Abgabe vermieden.
Aktuelle Situation
Trotz jahrelanger Bemühungen verschiedener Hersteller, vom Clozapin ausgehend ein ebenbürtiges Antipsychotikum ohne die gefährlichen Schadeffekte zu finden, ist dieser Wirkstoff der einzige geblieben, der auch in Hochdosis keine Parkinson-Symptome auslöst. Eine verwandte und mittlerweile sehr häufig eingesetzte Substanz ist das Olanzapin, das hinsichtlich seiner Langzeitsicherheit noch nicht zuverlässig zu beurteilen ist.
Olanzapin und andere neuere Neuroleptika wie Quetiapin und Risperidon bringen jedoch offenbar kein erhöhtes Agranulozytose-Risiko mit sich und werden deshalb gegenüber dem Clozapin bevorzugt.
Seit Ende der 1990er Jahre kamen mehrere Clozapin-Generika auf den Markt, von denen einige ohne die besonderen Vorsichtsmaßnahmen des Originals Leponex® verordnet werden können; für die Arzneimittelsicherheit ist das ein Rückschritt.
|