Der Wolf an der Krippe
Es war einmal ein Wolf. Er lebte in der Gegend von Bethlehem. Die Hirten wussten um seine Gefährlichkeit und waren allabendlich damit beschäftigt, ihre Schafe vor ihm in Sicherheit zu 'bringen. Stets hatte einer von ihnen Wache zu halten, denn der Wolf war hungrig und listig.
Es war in der Heiligen Nacht. Eben war der wunderbare Gesang der Engel verstummt. Ein Kind sollte geboren worden sein, ein Kind.
Der Wolf wunderte sich sehr, dass die rauen Hirten allesamt hingingen, um ein Kind anzusehen. "Wegen eines neugeborenen Kindes solch ein Getue", dachte der Wolf. Neugierig geworden und hungrig wie er war, schlich er ihnen nach. Bei dem Stall angekommen versteckte er sich und wartete.
Als sich die Hirten nach der Verehrung des Kindes von Maria und Josef verabschiedeten, hielt der Wolf seine Zeit für gekommen. Er wartete noch, bis Maria und Josef eingeschlafen waren; die ausgestandene Sorge und die Freude über das Kind hatten ihre Lider schwer gemacht.
"Umso besser", dachte der Wolf, "ich werde mit dem Kind beginnen." Auf leisen Pfoten schlich er in den Stall. Niemand bemerkte sein Kommen, allein das Kind. Es blickte voll Liebe auf den Wolf, der Tatze vor Tatze setzend sich lautlos an die Krippe heran schob. Er hatte den Rachen weit geöffnet und die Zunge hing ihm heraus. Er war schrecklich anzusehen. Nun stand er dicht neben der Krippe. "Ein leichtes Fressen", dachte der Wolf und schleckte sich begierig das Maul. Er setzte zum Sprung an.
Da berührte ihn behutsam und liebevoll die Hand des Jesuskindes. Das erste Mal in seinem Leben streichelte jemand sein hässliches, struppiges Fell und mit einer Stimme, wie der Wolf sie noch nie vernommen, sagte das Kind: "Wolf, ich liebe dich".
Da geschah etwas Unvorstellbares im dunklen Stall von Bethlehem platzte die Tierhaut des Wolfes und heraus stieg ein Mensch. Ein wirklicher Mensch. So wie Gott ihn von Anfang an gedacht.
Der Mensch sank in die Knie und betete es an. Dann verließ er den Stall - lautlos wie er zuvor gekommen war und ging in die Welt, um die erlösende Berührung des göttlichen Kindes allen zu künden.
Niemand hat gesehen, was sich in jener Nacht zugetragen, nur das Jesuskind und Menschgewordene wissen, was geschehen ist. Und die beiden wissen, dass dies noch immer geschieht an allen, die sich in ihrer Tierhaut der Krippe nahen und vom göttlichen Kind anrühren lassen.
Es ist Weihnacht, das Fest der Menschwerdung — Lasst uns zur Krippe gehen
Mit dieser Geschichte von Dr. Monika Nemetschek möchte ich jedem - jeder einzelnen, der - die sie liest wünschen, dass er - sie dermenschgewordenen Liebe Gottes begegnet nicht nur in der hl. Nacht sondern auch an jedem Tag deskommenden Jahres.
Eure Mims