Aufmerksamkeitsstörung (ADS, ADHS)
Zwischen 3-9% aller Kinder leiden an Aufmerksamkeitsstörungen. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen. Die Begriffe ADS oder ADHS stehen für die Aufmerksamkeits-Defizit- (und Hyperaktivitäts)-Störung, mit denen Mediziner besonders starke Aufmerksamkeitsstörungen beschreiben. Die Beschwerden treten vom Säuglings- bis ins Erwachsenenalter auf.
Die Ursache ist nach neuesten Forschungsergebnissen eine gestörte Signalübermittlung im Gehirn. Mindestens die Hälfte aller ADHS-Fälle soll genetisch bedingt sein. Das Lebensumfeld, in dem die betroffenen Kinder aufwachsen, kann diese Anlagen verstärken oder abschwächen; auch Zigarettenrauchen, Stress und Alkohol während der Schwangerschaft haben einen Einfluss auf die Krankheitsentstehung.
ADHS-typisch sind eine Konzentrationsschwäche und Impulsivität - mit oder ohne deutliche Überaktivität - sowie einige begleitende Symptome (gesteigerte Reizbarkeit, Mißlaunigkeit bzw. Depression, Vergesslichkeit, Angst, etc.). Die Diagnose erschließt sich dem Arzt schon aus der Betrachtung und Befragung des Patienten; Gewissheit erlangt er über die Zusatzinformationen wichtiger Vertrauenspersonen (Eltern, Lehrer), über die körperliche Untersuchung und neuropsychologische Tests.
Beratungen, Verhaltens- und Psychotherapien sowie Medikamente kommen als Behandlung in Betracht. Manchmal ist eine Behandlung nur über wenige Jahre, bei einigen Menschen auch lebenslang erforderlich. Ziel ist es, ein "normales Leben" mit guten sozialen Kontakten, einer qualifizierten Ausbildung und damit eine gute Lebensqualität zu erreichen.
Definition
Die Abkürzungen ADS oder ADHS stehen für Aufmerksamkeits-Defizit- (und Hyperaktivitäts)-Störung. Nach heutiger Auffassung ist ADHS das Resultat einer fehlerhaften Informationsverarbeitung zwischen einzelnen Hirnabschnitten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Nerven-Botenstoff Dopamin.
Ältere Bezeichnungen für das gleiche Krankheitsbild sind unter anderem "Frühkindliche leichte Hirnschädigung" oder "Hyperkinetisches Syndrom (HKS)". Die Störung bezieht sich keineswegs nur auf das Kindesalter. Das Erscheinungsbild ist sehr vielgestaltig; es reicht vom bekannten "Zappelphilipp" über brav-träumerische Mädchen ("Traumsuse"), depressiv orientierungslose Jugendliche bis hin zum hochbrillanten zerstreuten Professor. Je nach Krankheitsausprägung wird die ADHS auch in verschiedene Typen unterteilt: in den vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typ, den vorwiegend unaufmerksamen Typ und den kombinierten Typ.
Die Verhaltensstörung wurde im Jahr 1845 das erste Mal von dem Frankfurter Nervenarzt Heinrich Hoffmann in dem Buch der "Struwwelpeter" literarisch dargestellt. Aber erst im Jahr 1987 erhielt sie ihre heute noch gültige medizinische Bezeichnung ADHS.
Häufigkeit
In allen Ländern, in denen bisher intensive Untersuchungen zur Häufigkeit des hyperkinetischen Syndroms durchgeführt wurden, fand man zwischen 2 und 14% verhaltensauffällige Kinder. Aber auch zahlreiche Erwachsene dürften, oft unerkannt, betroffen sein. In Deutschland ermittelte man im Jahr 2000 bei 6-10 Jahre alten Kindern in 6% ein ADHS.
Jungen sind häufiger betroffen (ca. 9%) als Mädchen (etwa 3%). Je nach ADHS-Typen gibt es zudem geschlechter- und altersspezifische Unterschiede. So tritt der vorwiegend hyperaktiv-impulsive Typ bei Jungen fünfmal öfter auf, während die Jungen-Mädchen-Relation beim vorwiegend unaufmerksamen Typ ungefähr 2:1 beträgt. Auffällig ist auch, dass eineiige Zwillinge meist gemeinsam unter ADHS leiden.
Ursachen
Mindestens die Hälfte aller ADHS-Patienten sollen, neuen Forschungsergebnissen zufolge, genetisch bedingt sein. Nicht selten sind Geschwister, Eltern oder andere Verwandte ebenfalls an ADHS erkrankt, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß. Mehrere Gene, nicht nur eines, sind - so die Vermutung von Experten - an der Krankheitsentstehung beteiligt.
Man hat bei ADHS-Betroffenen bestimmte Veränderungen im Gehirn-Stoffwechsel festgestellt: So scheinen die verantwortlichen Überträgerstoffe (Neurotransmitter), vor allem das Dopamin, im Bereich der Schaltstellen von Hirnzellen (Synapsen) nicht optimal zu wirken. Moderne Untersuchungsmethoden, wie z.B. die PET (Positronen-Emissions-Tomographie) des Gehirns haben gezeigt, dass diese Funktionsstörungen vor allem in denjenigen Gehirnabschnitten vorkommen, die für die Aufmerksamkeit, Konzentration und Wahrnehmung, d.h. die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und Sinneseindrücken verantwortlich sind (Stammganglien und Frontalhirn). Mit PET-Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass diese Hirnareale weniger Sauerstoff und Glukose verbrauchen als die von gesunden Kindern. Forscher fanden bei ADHS-Patienten den Hirnvorderlappen ("Frontalhirn") überdies verkleinert.
Das Lebensumfeld, in dem die betroffenen Kinder aufwachsen, kann bestehende Erbanlagen verstärken oder abschwächen. Diskutiert wird zum Beispiel, ob ein bestimmtes Fehlverhalten der Eltern bzw. sozialen Umgebung zu einer Fehlentwicklung der entsprechenden Hirnareale führen kann. Einen wichtigen Einfluss auf die Krankheitsentstehung haben Faktoren während der Schwangerschaft, v.a. Zigarettenrauchen, Stress und Alkohol.
Die früher verantwortlich gemachte perinatale Hirnschädigung - "Sauerstoffmangel" bei der Geburt - ist nur selten die Ursache. Nahrungsmittelallergien oder -unverträglichkeiten können eventuell eine bestehende motorische Hyperaktivität verschlimmern, sind aber nicht die hauptsächliche Ursache.
Symptome
Folgende altersunabhängige Merkmale sind immer vorhanden:
-Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
-Störung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung
-Störung der Gedächtnisbildung (Abspeicherung)
Die folgenden Symptome können, müssen aber nicht, immer auftreten
-Motorische Hyperaktivität
-Dauernde, eventuell auch nur innere Rastlosigkeit, ziellose Hyperaktivität, kein Stillsitzen, andauernde Zappeligkeit, eventuell verstärkter Rededrang, Nägelknabbern, Bemalen von Hefträndern, Beknabbern von Bleistiften usw.
Impulsivität
Unvorhersehbares, unberechenbares Verhalten (Unfallgefahr!)
-Erregbarkeit, Irritierbarkeit
-Frustationsschwelle sehr niedrig, starke Stimmungsschwankungen, Empfindlichkeit gegenüber Kritik, rasches Weinen, Wutausbrüche, Aggressivität
mangelhafte emotionale Steuerung
zunehmende Selbstwertzerstörung, fehlendes oder übersteigertes Einfühlungsvermögen, mangelndes Realitätsgefühl, Mutlosigkeit, Verleugnung von Schwierigkeiten
dissoziales Verhalten
Außenseiter, wenig Freunde, Streitsüchtigkeit, Schlagen und Raufen, "Klassenclown"
Bei Säuglingen kann sich die ADHS bereits durch unerklärlich lange Schreiphasen, die Ablehnung von Körperkontakten und auffällige Schlafprobleme bemerkbar machen.
Kleinkinder sind meist hyperaktiv und unberechenbar in ihrer Handlung bzw. in ihrem Verhalten; es fällt ihnen schwer, beständige Freundschaften aufzubauen. Im
Grundschulalter wird die Aufmerksamkeitsstörung sehr offensichtlich: ADHS-Kinder sind wenig aufnahmefähig, zeigen eine Lese-Rechtschreib- und Rechenschwäche, sie stören den Unterricht, sind emotional instabil, "ungeschickt" und mitunter aggressiv. Beginnt die
Pubertät, können ADHS-Patienten sehr trotzig , ängstlich, depressiv oder aggressiv werden. Ihnen macht häufig das mangelnde Selbstbewusstsein zu schaffen und sie neigen dazu, sich mit Drogen Zugang zu "neuen" Wahrnehmungen zu verschaffen.
Erwachsene mit ADHS-Syndrom haben Mühe, Aufgaben zu organisieren und zu Ende zu bringen. Sie können von Ängsten, Vergesslichkeit, Unbeständigkeit und Depressionen geplagt werden. Häufig suchen sie Zuflucht in Alkohol und anderen Drogen.
Allerdings ist zu betonen, dass ADHS-Patienten auch durch
positive Eigenschaften auffallen: Sie besitzen häufig eine ausgeprägte künstlerische Kreativität. Sie unterscheiden sich von anderen durch ihren Ideenreichtum und ihre Intelligenz. Meist sind sie überdies begeisterungsfähig, sehr hilfsbereit und gerecht.
Diagnose
Die Diagnose der ADHS lässt sich vor allem durch die Lebensgeschichte des betroffenen Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen stellen. Hilfreich sind die Aussagen von wichtigen Vertrauenspersonen wie den Eltern (zur Familiensituation, zum Sozial- und Leistungsverhalten des Patienten, zu Erkrankungen in der Familie, Komplikationen in der Schwangerschaft, usw.). Zur Sicherung der Diagnose "ADHS" haben sich psychologische Testverfahren bewährt (z.B. Aufmerksamkeitstests, IQ-Fragebögen). Sie werden später auch zur Überprüfung der Therapie angewandt. Objektiver als die Tests sind computergesteuerte Programme, welche die Konzentrationsfähigkeit, die Ablenkbarkeit und das Vermögen, einfache Lernstrategien zu entwickeln, prüfen. Nur sind sie für eine Diagnose nicht immer beweisend.
Der Arzt wird den Patienten daher - nebst der allgemeinen körperlichen Untersuchung - auf neurologische Auffälligkeiten untersuchen. Bestimmte neurologische und psychiatrische Erkrankungen können schließlich mit einem ähnlichen Krankheitsbild verlaufen: Auszuschließen sind z.B. isolierte Lese-Rechtschreibschwächen, Anfallsleiden, Folgeerscheinungen durch Medikamente oder Drogen, Tic-Störungen, Psychosen oder ein Autismus.
Technische Verfahren wie EEG-Untersuchungen sind Spezialfällen vorbehalten (z.B. bei Epilepsie-Verdacht).